Russlands Erdgasriese Gazprom hat den Markt für Flüssigerdgas lange unterschätzt. Nun führt der private Konkurrent Novatek den Staatskonzern vor – bald auch mit einem LNG-Terminal in Deutschland.
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Groß wie ein Hochhaus ragt der mächtige Zylinder aus dem Labyrinth von Rohren. Schon bald wird der Tank gefüllt sein. Gleich daneben stehen die ersten Anlagen, die das Erdgas aus einer angrenzenden Pipeline verflüssigen und komprimieren werden. In diesem Frühjahr soll die LNG-Anlage im Hafen der russischen Stadt Wyssozk an der Ostsee in Betrieb gehen. Dabei wäre das Projekt vor gut einem Jahr fast gescheitert. Der alte Eigentümer, die Gazprombank – sie gehört zum Gazprom-Imperium – habe den Bau verschleppt und Chaos angerichtet, heißt es in Branchenkreisen. Gerüchte über einen Standortwechsel kamen auf. Bis im Sommer das private russische Gasunternehmen Novatek 51 Prozent der Anteile übernahm. Seitdem läuft alles nach Plan.
Das dürfte auch in Rostock wohlwollend registriert werden. Denn parallel zu den letzten Arbeiten an seiner Anlage in Wyssozk hat Novatek zusammen mit dem belgischen Gaslogistiker Fluxys ein Gelände im Rostocker Hafen angemietet. Bis 2022 soll dort Deutschlands erstes Small-Scale-Terminal für LNG im Ostseeraum entstehen, das unter anderem Schiffe und Lkw mit dem Kraftstoff betanken kann. Etwa die Hälfte der geplanten Jahresproduktion aus Wyssozk von 660.000 Tonnen dürfte dann per Schiff in Rostock anlanden. Auch Gazprom hatte vor zwei Jahren ein erstes LNG-Schiff in Rostock betankt, musste jedoch das Gas teuer per Lkw heranschaffen – eine PR-Aktion, die keine Fortsetzung fand.
Guter Draht zum Kreml
Die andere Hälfte der Produktion von Wyssozk ist für die finnische Gesellschaft Gasum reserviert. „Deswegen ist Wyssozk ein guter Deal für eine Firma, die auch den Bau stemmen kann“, erklärt Kirill Lyats, der als Chef des privaten Unternehmens „Gorskaya LNG“ derzeit ein ähnliches Investment prüft. „Das kann Novatek im Vergleich zu Gazprom.“
Wer sich in der russischen Energiebranche nach Novatek umhört, bekommt allerdings nicht nur Lob zu hören. Mal soll der persönliche Draht der Aktionäre zu Kremlchef Wladimir Putin der Grund für den Erfolg sein. Mal heißt es, Novateks ausländische Partner Total aus Frankreich und CNPC aus China profitierten viel mehr von Novatek als Russland. Doch fast alle Kritiker erkennen an: Novatek ist gut darin, Ideen vom Papier in die Realität zu übertragen. Und mit Novatek hat kein mächtiger Staatskonzern, sondern ein relativ kleines, privates Unternehmen russischem LNG zum Durchbruch auf dem Weltmarkt verholfen – eine Art Anti-Gazprom. Das allein ist schon eine kleine Sensation in der russischen Energiebranche.
Dabei sind die Projekte in Wyssozk und Rostock fast Peanuts. Novatek investiert hier weniger als eine Milliarde Euro in ein Geschäft, dessen Erfolgsaussichten als fragwürdig gelten. Das Terminal in Rostock zielt vor allem auf Endkunden, die das Gas direkt als Treibstoff nutzen. „Bisher hat die Politik in Deutschland noch nicht genug Anreize geschaffen, um Flüssiggas als Treibstoff für Schiffe oder für Lkw zum Durchbruch zu verhelfen“, erklärt Fares Kilzie, Chef der Moskauer Beratungsfirma Creon Capital. „Novatek rechnet damit, dass sich das ändert.“ Ähnlich sieht es Kyrill Lyats: „Die Zahl potenzieller Abnehmer steigt längst nicht so schnell wie vorhergesagt.“ Deswegen handele es sich in Rostock eher um ein Experiment.Doch solche Experimente kann sich Novatek derzeit leisten. Schließlich hat es sich gerade aus dem Stand zum größte LNG-Hersteller Russlands aufgeschwungen: Jamal LNG heißt das Megaprojekt, das dem Unternehmen zwischen Januar und September ein Umsatzplus von 43 Prozent auf umgerechnet 7,92 Milliarden Euro beschert hat. Vor einem Jahr startete die Anlage mit einer Jahreskapazität von 5,5 Millionen Tonnen. Im kommenden Jahr soll sie eine Gesamtkapazität von 17,5 Millionen Tonnen Flüssigerdgas erreichen.
Das Gas stammt von der sibirischen Jamal-Halbinsel. Das Projekt ist kaum angelaufen, gilt aber als schon weitgehend als Erfolg. Investoren trauen dem Unternehmen einiges zu. Im September überholte der Gasförderer in puncto Börsenwert sogar den staatlichen Platzhirsch Gazprom, der siebenmal mehr Gas fördert – und dennoch auf „nur“ 50 Milliarden Euro Börsenwert kommt.
„Novatek ist zum Börsenliebling aufgestiegen, da sich das Management als zuverlässig, solide, strategisch clever und beweglich erwiesen hat sowie nicht müde wird, neue Projekte zu entwickeln“, sagt Branchenkenner Kilzie. „LNG ist schließlich für Russland erst ein Trend, seit Jamal LNG am Netz ist.“ Zudem mache die Verflüssigung in arktischen Gefilden wirtschaftlich Sinn, weil sie weniger Energie verbrauche als etwa in Katar.
Ein Selbstläufer war das Jamal-Projekt jedoch nicht. Auf mehr als 25 Milliarden Euro belaufen sich allein die Investitionskosten. Um diese zu stemmen, holte Novatek ausländische Partner ins Boot – gerade, als die USA Novatek auf ihre Sanktionsliste setzten. Dennoch übernahm Total aus Frankreich 20 Prozent der Anteile am Jamal-Projekt, 20 Prozent kaufte der chinesische Energiekonzern CNPC und weitere neun Prozent ein chinesischer Staatsfonds.
Stadt aus dem Boden gestampft
Mit dem Geld wurde – eigens für die Jamal-Anlage – die Kleinstadt Sabetta im Norden Sibiriens aus dem Boden gestampft, samt Hafen und Flugplatz. Den Löwenanteil verschlangen die Anlagen für die LNG-Herstellung, die zu großen Teilen importiert werden mussten. Außerdem orderte Novatek 15 LNG-Tanker, die arktische Gewässer befahren können. Am Ende lieferte Novatek mit Jamal LNG das, was Gazprom über Jahre versprochen hat. Zwar hatte der Monopolist bereits in den 2000er Jahren Vorhaben wie Baltic LNG an der russischen Ostseeküste und das Stockmann-Projekt zur LNG-Herstellung in der Barentssee angeschoben. Über die Planungsphase kamen jedoch beide nicht hinaus. Gazproms einzige laufende LNG-Anlage befindet sich auf der Pazifikinsel Sachalin und beliefert den asiatischen Markt.
Zu lange hatte der staatlich kontrollierte Konzern Pipeline-Gas als das einzig wahre Gas betrachtet. „Vor allem hat sich Gazprom in den Augen der Regierung als unfähig erwiesen, Großprojekte im Flüssiggas-Bereich voranzutreiben“, sagt Michail Krutikhin, Partner bei der Agentur RusEnergy. „Der Kreml hat erkannt, dass die Erschließung der Arktis und der Nordostpassage ohne die Initiative privater Unternehmer, die in der Lage sind, ausländische Investoren und Technologien zu gewinnen, nicht machbar ist.“
In Moskaus Machtzentrale dürfte man zufrieden sein, denn die Wette auf Novatek ist aufgegangen. Zumal der Aufstieg des einst unbedeutenden Unternehmens vor neun Jahren nicht ohne Hilfe von oben begann.
Gründer Leonid Michelson hatte seit den 1980er Jahren eine sowjetische Spezialbaufirma für Energieinfrastruktur zum unabhängigen Gasförderer umgebaut. Novatek war erfolgreich, doch erst, als Gennadi Timtschenko 2009 Aktionär wurde, gelang der Durchbruch. Timtschenko ist ein alter Bekannter Wladimir Putins. Seit den späten 1990er Jahren stieg sein Unternehmen Gunvor zum führenden Händler russischen Erdöls auf dem Weltmarkt auf. 2008 kaufte Timtschenko die Lizenz für das heutige Jamal-LNG-Feld und übergab sie ein Jahr später an Novatek – gegen 13 Prozent der Novatek-Anteile und 650 Millionen US-Dollar.
Nur vier Jahre später ließ der Kreml das Exportmonopol von Gazprom im LNG-Bereich teilweise fallen, das war der Startschuss für Jamal LNG. Heute belegen die 18 und 16 Milliarden US-Dollar schweren Michelson und Timtschenko die Plätze zwei und drei auf der Liste der reichsten Russen. Novateks Erfolge verleihen auch Russlands Offiziellen neues Selbstbewusstsein. Im Jahr 2025, so der kühne Plan, soll Russland 20 Prozent des Weltmarktes für LNG beherrschen. Vizepremier Dmitrij Kozak behauptete gar, man könnte die gesamte „zahlungskäftige Nachfrage“ Europas bedienen.
In der russischen Öffentlichkeit kommen solche Sprüche gut an. Den Pipeline-Monopolisten Gazprom dagegen dürften sie nervös machen, denn Europa ist mit Abstand Gazproms wichtigster Markt. Dort könnte sich nun Novatek mit seinem LNG ausbreiten. Besonders ärgerlich für Gazprom: Damit die hohen Investitionskosten des Jamal-Projekts abgefedert werden, muss Novatek während der ersten zwölf Betriebsjahre keine Exportzölle und keine Rohstoffsteuer zahlen.
Hinzu kommt, dass Jamal LNG statt 18 nur 13,5 Prozent Steuern abführt. In einem Brief an den Energieminister hatte die Gazprom-Führung noch im Frühjahr darum gebeten, negative Einflüsse solcher Konkurrenz zu prüfen. „Pro 1.000 Kubikmeter Gas, das Gazprom weniger und Novatek mehr verkauft, entgehen dem russischen Haushalt 4.096 Rubel (etwa 55 Euro)“, zitierte die Zeitung Vedomosti einen Top-Manager des Staatskonzerns.
Nur allzu gut dürfte sich der Gazprom-Vorstand zudem daran erinnern, wie Novatek-Chef Michelson gemeinsam mit dem mächtigen Chef des staatlichen Öl- und Gaskonzerns Rosneft, Igor Setschin, nach dem Flüssiggasmonopol auch das Pipelinemonopol von Gazprom stürzen wollte. Das Verhältnis der europäischen Kunden zu russischem Gas spiegele vor allem das Verhältnis zu Gazprom wieder, kritisierte Michelson vor zwei Jahren. Damals stellte sich der Kreml hinter Gazprom und gegen die Allianz Novatek-Rosneft.
Seitdem bemüht sich Michelson, die Wogen zu glätten. Im vergangenen Mai überließ er lieber seinen Partner und Total-Chef Patrick Pouyanne die heikle Aufgabe, das Pipeline-Thema bei Putin anzusprechen. Neben Jamal betreiben Novatek und Total ein Joint-Venture, das den russischen Markt bedient, mit Export jedoch mehr Geld verdienen würde. Aber auch Pouyanne hatte keinen Erfolg – wenngleich Putin öffentlich erklärte, das Exportmonopol werde früher oder später fallen. Bis dahin sei allerdings Gazprom der richtige Ansprechpartner.
Vision vom Global Player
Zumindest öffentlich will der Novatek-Chef derzeit Ärger vermeiden. Erst kürzlich beruhigte er Gazprom mit den Worten, er stimme „mit drei von zwei Händen“ dafür, den Wettbewerb zwischen Pipeline- und Flüssiggas auszuschließen. Ohnehin seien fast 82 Prozent von Jamal über feste Lieferverträge auf Jahre hinaus an Kunden im asiatischen Raum vergeben.
Fest steht jedoch, dass Novatek seinen Absatz diversifizieren will. Und wenn das Unternehmen in gut zehn Jahren die geplanten 55 Millionen Tonnen Flüssiggas jährlich produzieren will, dürfte es mit der Pietät gegenüber Gazprom vorbei sein.
Michelson treibt seine Vision vom Global Player unbeirrt voran, und er sucht bereits nach ausländischen Partnern für sein neues Projekt: Arctic LNG 2 mit einem geplanten Jahresvolumen von 18 Millionen Tonnen Gas soll auf der Gydan-Halbinsel im Norden Sibiriens entstehen und insgesamt rund 20 Milliarden US-Dollar an Investitionen verschlingen. Ein Viertel davon steuert Total bei, im Tausch gegen zehn Prozent der Anteile. Weitere 30 Prozent könnten an Partner aus China und Saudi Arabien gehen. Wenn alles nach Plan läuft, dürften 2023 die ersten Tanker das neue Terminal ansteuern.